Ein gefallener Engel auf dem Weg nach Hause.
Von Rotraut Ueding
Leider ist die Aufnahme eines Chows in Not immer auch verbunden mit viel Leid und Kosten. Denn die Tiere, die wir aufnehmen müssen, weil sie aufgrund von Verhaltensstörungen und/oder Krankheit nicht sofort in eine Familie vermittelt werden können, müssen erst einmal mit Zeit und Mühe, aber auch einem nicht unbeträchtlichen Aufwand stabilisiert werden.
Ein dicker Brocken ist immer der Tierarzt. Schnell summieren sich hier die Honorare auf mehrere Hundert Euro. Und ohne die Hilfe von Chowfreunden wäre die Arbeit so gut wie unmöglich.
So ging es auch mit der kleinen Chowhündin Yin, die wir vor Monaten aufgenommen haben. Yin stammt ursprünglich von einem russischen Möchtegernzüchter, der mit ihr das große Geld machen wollte. Seine Hunde lebten in kleinen, engen Verschlägen, kannten weder Haus noch Außenwelt, kein Gassigehen, keine Leine. Dazu kam dann die Angst vor dem wohl recht groben und gewalttätigen Menschen. Vernachlässigt, abgemagert und völlig verstört konnte sie von Tierschützern übernommen werden. Da ihr Verhalten typisch für die Rasse ist, sie niemanden an sich heranließ, wurden wir von Chow in Not gebeten sie zu übernehmen.
Was dann ins Haus kam war ein Chow, der so fertig war, so ‚herabgewirtschaftet', dass einem die Tränen kamen. Mager, dass die Rippen zu sehen waren, das verfilzte, extrem stinkende Fell schlotterte um dieses Gerippe herum. Als wir nach 24 Stunden und etlichen Leckerchen Yin anfassen konnten, kam erst einmal die Schere zum Einsatz. Unter der dicken Wolle fanden sich dann alte Bisswunden, Flohnester und Zecken zuhauf. Aber wir konnten baden so oft wir wollten, nach spätestens zwei Tagen war der penetrante Gestank wieder da. Yin kam nicht zur Ruhe, ständig erwischten wir sie, sich die Haut zerkratzend.
So wunderte es nicht, dass unser Tierarzt dann auch starken Milbenbefall (Demodexräude) feststellte und wieder einmal das volle Programm gegen diese Krankheit zum Einsatz kam. Welche Freude, als wir diese Parasiten endlich im Griff hatten und sich das Fell wunderbar erholte.
Aber so richtig fit schien uns Yin nicht. Wenn sie nicht ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Fressen, nachging, fanden wir sie meist schlafend in ihrem Körbchen. Wochenlang mussten wir mit ihr extra laufen, weil sie beim Gassigehen mit den anderen Chows nicht Schritt halten konnte.
Und dann kam es so richtig dicke. Wie angeflogen zeigte sie auf einmal alle Anzeichen von Fieber. Als wir nachmessen, zeigte das Thermometer 39.8°. Der Tierarzt war recht ratlos und riet zu einer umfassenden Blutuntersuchung, um dem Auslöser auf die Spur zu kommen.
Die erste Hiobsbotschaft erhielten wir am späten Abend noch per Telefon: Yin hatte kaum noch rote Blutkörperchen. Spritzen halfen ihr erst mal wieder auf die Beine. Aber weil wir es genau wissen wollten - genau wissen mussten - um ihr langfristig helfen zu können, wurde eine weitere Blutprobe zu dem Parasitologen geschickt. Als nach drei Tagen das Ergebnis vorlag, wurde uns angst und bange. Denn viel Hoffnung machte uns der Tierarzt nicht mehr. Klipp und klar hieß es, dass die Aussichten diese Diagnose zu überleben für Yin fast bei Null lägen. Nicht nur, dass sie an Leishmaniose litt, nein, sie hatte sich durch Zeckenbisse auch noch Erlichiose und Babesiose eingefangen.
Aber aufgeben ist nicht drin und haben wir einmal die Verantwortung für einen Hund übernommen, dann stehen wir auch dazu. Yin bekam nun etliche Medikamente. Spritzen, Tabletten und immer wieder Tierarztbesuche gehörten nun zu ihrem Alltag. Und sie zeigte uns, was kämpfen heißt. Sowieso schon gehandicapt durch die schlechte Haltung ihres Besitzers, dann die Impfungen, die sie vor Ankunft hier über sich ergehen lassen musste, den enormen Stress, dem sie unterworfen war: Yin ließ sich nicht unterkriegen. Dass sie trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes auch noch vor der Übernahme durch uns kastriert wurde, passte mir gar nicht, hätte ich sie doch lieber erst einmal aufgepäppelt, ehe sie einer solch schweren Operation ausgesetzt wurde. Aber Yin packte dies alles. Es dauerte lange und immer wieder hatten wir große Sorge um die Hundedame. Verwunderlich während der langen Behandlung aber war, dass Yin alles ruhig über sich ergehen ließ. Kam sie auf den Behandlungstisch, stand sie da wie eine Statue. Hauptsache, ich hatte sie im Arm. Nie zeigte sie die Zähne, nie wehrte sie sich gegen uns. Aggression war und ist für sie ein Fremdwort.
Irgendwann dann kam der Tag, an dem sie zum ersten Mal freudestrahlend hinter dem Rüden Leon herlief und ihn zum Spielen aufforderte. Fröhlich um ihn herumhüpfend zeigte sich da ein völlig neuer Hund. Dass sie schon aufgrund des schweren Körperbaus keine Langstreckenläuferin wird, ist klar, und dass sie noch viel Zeit braucht, bis sie die Ängste die sie im Umgang mit den Menschen in ihrem früheren Leben aufbaute, überwunden hat, ist verständlich.
Fotos von Rotraut Ueding