Oma Susi


Die Geschichte einer Seniorin

Von Uli Hoffmann

„... könntest du evtl. eine alte Chow-Chow Hündin abholen und die erste Etappe der Fahrkette in ihr neues zu Hause übernehmen?“, war die Frage von Rotraut.

Aber ja, und ein paar Tage später saß ich im Auto, um diese 12 Jahre alte Chow-Chow Oma abzuholen. Es kreisten mir etliche Gedanken durch den Kopf.
Warum sollte dieser alte Hund ein neues zu Hause bekommen? Was war passiert? Verstehen konnte ich das alles nicht. Mehr, als dass die Hündin dringend aus ihrem zu Hause musste, sonst würde sie im Tierheim abgegeben, war mir nicht bekannt.
Wie um alles in der Welt konnte man so herzlos sein, seinen alten Hund abzuschieben?
Meine Unterlippe war nach der Anfahrt zu dieser Hündin durchgeknetet, ohne auf ein schlüssiges Ergebnis zu kommen.

Mein Navi ließ mich vor einem alten Haus halten. Provisorisch gesichert, damit es nicht in sich zusammen fällt, und an manchen Stellen notdürftig zusammengeflickt. Ein Nachbar fragte neugierig, ob ich der Käufer des Hauses sei.
Kopfschüttelnd verneinte ich und ging durch den desolaten Garten auf das Haus zu. Ein kleiner, älterer Mann kam mir entgegen und bat mich, ihm zu folgen. Er führte mich in einen Anbau, in dessen Türe ein kleine zierliche ältere Asiatin stand. Die dicken Brillengläser konnten ihre total verweinten Augen nicht verbergen.
Mein Herz rutschte Richtung Magen. Verlegen grüßte ich die Dame, die ihre Tränen nicht mehr halten konnte. Ihrem Mann war das mehr als peinlich und er schubste uns Frauen schnell durch den verwinkelten Anbau ins Wohnzimmer. Es war total dunkel und völlig überladen und erst nach einigen Augenblicken sah ich einen Chow-Chow in de Ecke liegen.
Die Frau stürzte sich sofort auf das Chow-Mädchen, vergrub ihr Gesicht in der großen, roten Mähne und weinte bitterlich. Ich war eindeutig überfordert mit dieser Situation. Eigentlich hatte ich etwas ganz anderes erwartet, keine Ahnung was, aber mit Sicherheit nicht das! Der Mann zog mich aufs Sofa und ich spürte einen dicken Kloß in meinem Hals, der in den Magen, zu dem bereits vorhanden Herzen, rutschte. Warum um alles in der Welt war ich hier, um diese Chowie-Oma abzuholen?

Die Antwort kam von dem Mann sehr stockend. Er musste selber immer wieder nach Luft ringen, um seine völlig aufgelöste Frau zu beruhigen, welche die Chow-Chow Dame zärtlich liebkoste. Er fing zu erzählen an. Ihm wurde vor 2 Jahren der Job gekündigt und mit nun 60 Jahren würde das Familieneinkommen gerade ausreichen, um einigermaßen vernünftig über die Runden zu kommen. Allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, dass ihnen ihre Wohnung, der verwinkelte Anbau in dem wir saßen, gekündigt werden würde. 30 Jahre lebten sie nun in diesem kleinen Haus und nun musste würde ihnen das Mietverhältnis gekündigt, da das Haus verkauft wurde. Eine neue Wohnung war für die Beiden nicht bezahlbar und so hatte man sich schweren Herzens entschlossen, ins Geburtsland der Frau auszuwandern, wo es möglich wäre, einen finanziell gesicherten Lebensabend zu verbringen. Der Umzug stand an und Oma Susi wurde dem Tierarzt vorgestellt. Dieser sollte alle notwendigen Impfungen und Ausreisepapiere nach Thailand zusammenstellen. Der Tierarzt riet bei diesem Besuch jedoch dringend davon ab, die alten Hündin den Strapazen des Fluges und des heißen Landes auszusetzen. Oma Susi würde das nicht überleben. Schweren Herzens musste das Ehepaar sich mit dem Gedanken abfinden, dass der geliebte Chow-Chow nicht mitkommen konnte.. Das Tierheim, in dem die Beiden vorstellig wurde, kannte die Chow-Chow’s in Not. Schnell war der Kontakt zu Rotraut hergestellt und es wurde innerhalb kürzester Zeit ein neues zu Hause für Oma-Susi gefunden.

Nein, weder mein Herz noch der Kloß kamen freiwillig aus meinem Magen zurück. Ich musste hier raus – und zwar ganz schnell, bevor ich selber auch noch in Tränen ausbrechen würde. Schnell waren die Formalitäten geklärt und ein Korb mit Spielzeug, Leinen und Decken im Auto verstaut. Oma Susi wurde von dem Ehepaar ganz vorsichtig in mein Auto gehoben. Der Mann musste fast mit Gewalt seine Frau aus meinem Auto ziehen. Sie ließ ihr kleines Chow-Chow Mädchen nicht mehr los. Die Tränen flossen in Strömen über ihr Gesicht und Susi wusste nicht, was mit ihr geschah. Heckklappe zu und los. Anders ging es nicht, da ich merkte, dass mir mittlerweile selber die dicken Tränen übers Gesicht liefen.

Oma Susi war die erste Fahrzeit über schon etwas irritiert, aber weil sie in ihrem Körbchen reiste und ihre Sachen dabei hatte, legte sie sich relativ schnell hin und schlief leise schnorchelnd ein.

Wie gerne hätte ich sie in ihr neues zu Hause gefahren, doch dafür war die Entfernung zu weit für mich. Über eine gut organisierte Fahrkette traf sie wohlbehalten in ihrem neuen zu Hause ein. Dort wurde sie von einem Chow-Chow Mädelchen freudig begrüßt und die beiden verstanden sich sofort.

Noch lange hatte ich Kontakt mit ihrem neuen Heim. Die Maus wurde liebevoll umsorgt und geliebt, so als wenn sie nie wo anders zu Hause gewesen wäre ... und Oma Susi dankte es mit ihrem ganzen Chow-Chow-Charme.

Oma Susi durfte noch wundervolle Monate erleben, bis sie über die Regenbogenbrücke ging.

Mein ganz persönlicher Dank gilt Familie F., die einem Senior-Chow-Chow diese Möglichkeit gegeben hat.