Die Sache mit dem Weihnachtsschwein

weihnachtsschwein_2Erschrocken sah ich mich um. Wo um alles in der Welt kam das leise „Hallo“ hinter mir her? Eigentlich wollte ich die frisch gebackenen Weihnachtswichtelplätzchen zum auskühlen in unserem ungenutzten Zimmer auslegen. Momentan ist ja die Wichtelbäckerei im vollen Gang und ich sprintete mit meinem letzten Blech zwischen Küche und   Obergeschoss hin und her.

Immer noch das heiße Backblech mit den frisch duftenden Plätzchen in den Händen haltend, drehte ich mich langsam um. Nein, es war niemand im Raum. Mein Mann war einkaufen, die Hunde unten im Wohnzimmer. Hinter mir sah es so aus wie immer. Neben der Couch stand die große Palme, davor die Gießkanne und daneben ein handgearbeitetes Wildschwein aus Plüsch, das mir vor Jahren geschenkt wurde und seit dem sein Dasein auf diesem Platz trifftet.

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Ungläubig kopfschüttelnd kehrte mein Blick wieder zum Backblech in meinen Händen zurück. Da muss ich ganz schon geträumt haben. Vorsicht legte ich eine Haselnussmakrone nach dem anderen zum trocknen aus, als ich wieder ein leises „Hallo, ja ich meine dich“ hörte.

Neeee! Jetzt fange ich schon tagsüber das träumen an. Vorsichtig drehte ich mich wieder um und mein Atem stockte, als ich sah, dass das Plüschwildschweinchen ganz vorsichtig einen Trippelschritt vor dem anderen in meine Richtung setzte. Meine Beine gaben nach und ich saß auf meinem Hinterteil, weil ich nicht glauben konnte, was ich sah.


Ein Plüschwildschwein, das nicht nur sprechen sondern auch laufen konnte? So etwas gibt’s doch nur im Märchen!
Vorsichtig setzte mein Atem wieder ein und staunend sah ich dem Schweinchen zu, wie es mehr stolpernd als normalen Schrittes sich weiter auf mich zu bewegte. Kurz bevor es mit seiner dicken Schnauze meine Knie erreichen konnte, stoppte es und plumpste auf seinen weichen Popo.
Ein leises grunzen folgte einem unappetitlichem rülpsen. Vorsichtig robbte das Schweinchen weiter in meine Nähe und legte zaghaft seinen dicken Kopf mit den Hauern auf meine Knie.

„Hallo Mensch“ und seine Augen sahen mich traurig an. Meine Hände nahmen den pelzigen Kopf behutsam und kraulten sanft die Ohren des Schweinchens.

„Hallo Schweinchen“, hörte ich mich sagen, weil, glauben konnte ich das immer noch nicht, was in diesem Raum vor sich ging.

„Du Mensch, das tut soooooo gut. Endlich nimmst du mich mal ganz lieb in die Arme und kraulst mein zotteliges Fell. Wie lange habe ich darauf gewartet?! Es waren sehr unendlich viele, lange Jahre.“
Ein tiefes Seufzen, das mehr einem Grunzen glich, erfüllte das unbewohnte Zimmer.
Das Schweinchen kletterte ganz vorsichtig auf meinen Schoß und ich sah einen leichten Schimmer in seinen Augen. Konnten Plüschwildschweine nicht nur sprechen und laufen, sondern auch weinen?
Noch immer nach Worten ringend zog ich das Schweinchen ganz zu mir und ich spürte, wie es sich eng an mich kuschelte.
„Mensch, ich weiß ja, dass ich ein Plüschwildschwein und kein Teddy-Bär geworden bin. Trotzdem bin ich ein Plüschtier und wünsche mir nichts senstlicher als mit kleinen Kindern zu spielen. Die mich drücken und lieb haben, an meinem Pelz mal rum reißen, vielleicht auch mal mich an meinem Ringelschwänzchen durchs Zimmer werfen. Da kann ja nichts passieren, bin innen ja ganz weich.“
Das Schweinchen fing immer heftiger in meinen Armen das weinen und schluchzen an.

„Mensch, seit Jahren stehe ich hier alleine auf diesem Platz. Du kommst ein Mal die Woche ins Zimmer und gießt die Blumen. Oftmals schaust du mich nicht an sondern geht’s wieder weg. Dafür sind doch Plüschtiere nicht gemacht! Plüschtiere wollen und müssen mit Kindern spielen und nicht nutzlos Jahr um Jahr in der Ecke stehen!“
Dicke Tränen flossen nun in Strömen aus den kleinen braunen Schweineäuglein und ein heftiges Schluchzen durch lief seinen Körper.
Irgendwie war das etwas viel für mich, da ich bis zu diesem Augenblick weder ein sprechendes Plüschwildschwein in den Armen gehalten, geschweige dann noch ein heftig weinendes, das unbedingt mit Kindern spielen wollte. Gedankenverloren streichelte ich den heftig schluchzenden pelzigen Körper weiter.

Woher sollte ich denn jetzt Kinder her bekommen, die mit dem Schweinchen spielen würden? Wie konnte ich nur den riesigen Schmerz des Schweinchens lindern? Meine Hunde würden mit dem Schweinchen auch nicht spielen – und für anderes, ist es einfach zu schade. Auch konnte ich nicht mit dem Plüschwildschwein in den Armen um die Häuser ziehen und mein Mann würde mich mit großen Augen ansehen, wenn ich abends mit dem Schweinchen spielen würde.
Das Plüschwildschwein weinte sich all seine Sorgen der letzten Jahre aus den Augen. Sein Rüsselchen und die kleine Augen waren schon ganz rot von den vielen Tränen. Es wollte einfach nur mit Kindern spielen. Dafür wurde es doch erschaffen!

Plötzlich hatte ich einen Gedankengang. Vorsichtig hob ich das Schweinchen hoch und sah ihm in die verweinten Augen.

„Du Schweinchen, bitte nicht weiter weinen, ich habe DIE Idee! Allerdings musst du für ein paar Tage in ein dunkles Paket und du wirst dieses Zimmer und Haus verlassen müssen. Wenn du einverstanden bist, wirst du verreisen, zu einem kleinen Mädchen.“
Die Tränen des Schweinchens wurden weniger, das schluchzen leiser und neugierig sah es mich durch seine Schweinsäuglein an.
„Mensch, was sagst du da? Du hast eine Idee? Welche?“
Versonnen das Schweinchen weiter kraulend, teilte ich ihm meinen Gedankengang mit.
„Schweinchen, ich wichtel doch wie jedes Jahr in einem Forum. Mein Wichtelchen hat neben Hunden und Katzen auch ein kleines Mädchen. Was meinst du Schweinchen, möchtest du Weihnachten unter dem Christbaum des kleinen Mädchen liegen?“

„Mensch, bitte mach keine Scherze mit mir“, grunzte das Schweinchen, „das tut in meinem kleinen Schweineherzchen so arg weh“.
Verneinend schüttelte ich den Kopf. „Nein Schweinchen, ich mache keinen Scherz. Es ist mein Ernst!
Wenn du möchtest, dann darfst du mit ins Wichtelpaket und am heiligen Abend bei dem kleinen Mädchen unterm Weihnachtsbaum liegen. Aber nur, wenn du willst.“

Wer noch nie sprechende Wildschweinplüschtiere gehört hat, kann sich auch schwerlich vorstellen, was nun ablief. Das Schweinchen entwickelte plötzlich so eine Kraft, dass es mir aus den Armen sprang und in seinem Schweinchengalopp im Zimmer hin und her rannte.
„Ich darf zu einem Kind! Ich darf zu einem Kind! Huuurrraaaaa – ich darf zu einem Kind! Ich darf Weihnachten als Geschenk zu einem Kind! Ich darf zu einem kleinen Mädchen !!“
Nur mit großer Mühe konnte ich das Wildschweinchen wieder einfangen und zurück auf meinen Schoß buxieren.
„Ja Schweinchen, das darfst du. Bevor ich dich auf die große Reise schicke, werde ich dir noch eine hübsche Weihnachtsschleife umbinden und dann wirst du im Weihnachtswichtelpaket mit den anderen Dingen auf die Weihnachtswichtelreise gehen, auf in dein neues zu Hause. Aber wehe, du futterst während der Reise die selber gebackenen Kekse auf!“

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Hat jemand schon mal ein glücklich grinsendes Plüschwildschwein gesehen? Ich bis dahin auf jeden Fall noch nicht!
Plötzlich wurde das Schweinchen still. Seine Tränen waren verschwunden, der rote Rüssel war wieder braun und die Augen sahen aus, wie bei allen Plüschtieren. Verwundert sah ich das Schweinchen an, doch einen Atemzug später hörte ich, wie mein Mann die Haustüre aufschloss. „Schatz, wo bist du denn?“ hörte ich ihn durchs Haus rufen. „Ich? Na hier oben. Ich stelle gerade die Sachen fürs Wichtelpaket zusammen. Ich komme gleich“.

Schmunzelnd sah ich zu dem Plüschwildschwein, das so da stand, wie all die Jahre zuvor. Nur aus dem einen Auge, kam ein kleiner Lichtstrahl und sein einer Mundwinkel zuckte leicht nach oben.
„Schweinchen, versprochen ist versprochen“; flüstere ich ihm zu und drückte es noch einmal ganz feste an den Öhrchen.
„Bald ist Weihnachten und du wirst unterm Weihnachtsbaum liegen und du wirst das schönste aller Weihnachtsplüschtierwildschweinchen sein, dass das Christkind jemals gesehen hat.

 

 

 

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